Die Gaste
ÝKÝ AYLIK TÜRKÇE GAZETE
ISSN 2194-2668
DÝL VE EÐÝTÝMÝ DESTEKLEMEK ÝÇÝN ÝNÝSÝYATÝF
(Initiative zur Förderung von Sprache und Bildung e.V.)


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    Ausgabe 21 / März-April 2012



    Die Gaste, Ausgabe 21 / März-April 2012

     
     

    Die Gaste

    ÝKÝ AYLIK TÜRKÇE GAZETE

    ISSN 2194-2668

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    Yayýn Sorumlusu (ViSdP):
    Engin Kunter


    diegaste@yahoo.com


    Schweizer Langzeitstudie entzieht
    der Sonderschule für Lernbehinderte
    die Legitimation
    [Ýsviçre’de Yapýlan Uzun Süreli Araþtýrma
    Öðrenim Engelli Okullarýnýn Meþruiyetini Ortadan Kaldýrýyor]


    Dr. Brigitte SCHUMANN




        Wird die spätere berufliche und soziale Situation von Kindern mit einer „Lernbehinderung“ durch schulische Integration oder durch eine separate Unterrichtung besser gefördert? Zu dieser Fragestellung geben die vorliegenden Ergebnisse einer Nationalfonds-Studie unter der Leitung von Urs Haeberlin, emeritierter Professor und ehemaliger Direktor des Heilpädagogischen Instituts der Universität Freiburg (Schweiz), eindeutige Antworten.

        Auch in der Schweiz ist es noch weitgehend üblich, Kinder und Jugendliche mit Lernschwächen zu separieren und in Sonderklassen, oft auch „Kleinklassen“ genannt, zu unterrichten. Da diese Schülerinnen und Schüler wie in Deutschland aus sozioökonomisch benachteiligten Milieus kommen und Kinder mit Migrationshintergrund überrepräsentiert sind, ist die Frage nach der gesellschaftlichen Perspektive im Anschluss an die Schullaufbahn von besonderer Bedeutung.

        „Die Langzeitstudie war möglich“, so die Forschergruppe, „weil wir auf Daten aus Nationalfondsprojekten zurückgreifen konnten, welche wir in den vergangenen zwölf Jahren an Personen erhoben hatten, die wir nun im frühen Erwachsenenalter erneut untersucht haben.“

        Sonderklassen haben negative berufliche Auswirkungen

        Wer in einer Sonderklasse gelernt hat, hat als junger Erwachsener keinen Zugang zu anspruchsvolleren Berufen. Ausbildungsabbrüche und Langzeitarbeitslosigkeit sind charakteristisch für diese Gruppe. Vergleichbare junge Erwachsene, die in Regelklassen lernen konnten, finden leichter Anschluss an eine berufliche Ausbildung. Während drei Jahre nach der Schulzeit 25 % der ehemaligen Abgänger aus Sonderklassen keinen beruflichen Zugang gefunden haben, sind es bei der Vergleichsgruppe lediglich 6 %. Integrierte Schulabgänger haben sogar gewisse Chancen auf eine Ausbildung im mittleren oder höheren Segment der beruflichen Ausbildung.

        Sonderklassen beeinträchtigen nachhaltig das Selbstwertgefühl

        Im Vergleich zu ehemaligen integrierten Schülerinnen und Schülern aus Regelklassen sind ehemalige Schülerinnen und Schüler aus Sonderklassen schlechter sozial integriert. Ihr Selbstwertgefühl ist wesentlich geringer. Sie verfügen über ein bedeutend kleineres Beziehungsnetz.

        Sonderklassen machen anfällig für Ausländerfeindlichkeit

        Schulische Integrationserfahrungen tragen dazu bei, dass die jungen Erwachsenen eine deutlich positivere Einstellung gegenüber Ausländern entwickelt haben. Ausländerfeindliche Tendenzen macht die Studie bei den jungen Erwachsenen aus, die in Sonderklassen unterrichtet wurden.

        Die Abschaffung der Sonderklassen ist unumgänglich

        Das ist die bildungspolitische Schlussfolgerung, die die Forscher aus ihrer Studie ziehen.

        „Mit der Einweisung von sozial benachteiligten Kindern und Jugendlichen in Sonderklassen für Lernbehinderte wird Chancengerechtigkeit verhindert. Die Etikettierung der von Chancenungerechtigkeit betroffenen Kinder und Jugendlichen als Lernbehinderte verschleiert den Aspekt der sozialen Benachteiligung. Sie hat über jahrzehntelang hinweg als scheinwissenschaftliche Rechtfertigung der Sonderklassen und der beruflichen Selektion gedient.“

        Die deutsche Bildungspolitik muss ihre Position ändern

        Die bundesdeutschen Länder haben bislang mehrheitlich bekundet, dass sie neben der Ermöglichung von inklusiver Bildung im allgemeinen Schulsystem für alle Förderschwerpunkte auch an dem Sonderschulsystem festhalten wollen. Dementsprechend gehen auch die Empfehlungen der Kultusministerkonferenz (KMK) zu inklusiver Bildung von einer Pluralität der Förderorte aus. Eltern von Kindern mit Lernproblemen soll ermöglicht werden, zwischen einem gemeinsamen Unterricht in der allgemeinen Schule und der Sonderschule für Lernbehinderte, jetzt Förderschule mit dem Förderschwerpunkt Lernen genannt, zu wählen.

        Die KMK missachtet damit die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen. Diese verlangt eindeutig strukturelle und konzeptionelle Maßnahmen zur Abschaffung des Sonderschulsystems und die verbindliche Anerkennung des subjektiven Rechts der Kinder mit Behinderungen auf gemeinsames Lernen in der allgemeinen Schule. Die KMK weigert sich immer noch, die erdrückenden wissenschaftlichen Beweise über die schädlichen Effekte des Sonderschulsystems aus vierzigjähriger Forschung im In- und Ausland zur Kenntnis zu nehmen.

        Angesichts dieser aktuellen Forschungsstudie ist die Position der Bildungspolitik unhaltbar, wenn sie tatsächlich Bildungsgerechtigkeit herstellen und nicht nur ein Lippenbekenntnis dazu abgeben will.

        Die Studie ist nachzulesen unter:

        Michael Eckhart, Urs Haeberlin et al.: Langzeitwirkungen der schulischen Integration. Eine empirische Studie zur Bedeutung von Integrationserfahrungen in der Schulzeit für die soziale und berufliche Situation. Bern 2011

        Dr. Brigitte Schumann
        ifenici@aol.com